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Internetgeschichten Teil #4 – Der Familienstammbaum des Internets

Daniel Andreas Becker 0
Internetgeschichten Teil #4 – Der Familienstammbaum des Internets
(Bild von pieonane auf Pixabay)

Es ist bereits fast eine halbe Sekunde vergangen seit Ihr in in Eurem Smartphone bei Google auf den Welpen-Artikel der Wikipedia getippt habt. Und noch immer hat unser Freund Herbert keinen blassen Schimmer, wo er den Wikipedia-Server findet. In Teil #3 der Internetgeschichten hat er von einem DNS-Root-Server nur den nächsten Hinweis erhalten. Doch der hat es in sich: Der DNS-Root-Server gab Herbert die IP-Adresse eines Servers auf der anderen Seite des Ozeans. Herbert bleibt nichts anderes übrig. Er fährt durch ein laaanges Kabel, das auf dem Meeresgrund liegt und die Kontinente miteinander verbindet. Auf der anderen Seite des Ozeans findet er im Prinzip die gleichen Bedingungen vor wie bei uns zuhause. Das Unterseekabel endet an einem amerikanischen Computer. Dem kann Herbert die IP-Adresse zeigen, die er vom DNS-Root-Server erhalten hat. Es gibt kein Verständigungsproblem, denn IP-Addressen kennen die Computer überall auf der Welt. Daher wird Herbert auch auf dem amerikanischen Kontinent der richtige Weg von Computer zu Computer gewiesen. Herbert frägt sich durch bis er schließlich auf den Server mit der gesuchten IP-Adresse trifft.

Dieser Server ist auch wieder ein DNS-Server. Er ist kein Root-Server, aber ist bereits sehr alt. Er hat das ganze Domänennamensystem mitbegründet und trägt immernoch eine Menge Verantwortung. Er gehört einer gemeinnützigen Organisation namens „Public Interest Registry“ (PIR) mit Sitz in Reston, Virginia, USA.

Um nachvollziehen zu können, warum Herbert von einem DNS-Server zum nächsten geschickt wird, sollten wir uns einmal kurz ansehen, wie die Domänennamen organisiert sind. Und dafür gehen wir am besten bis zu den Gründertagen des Internets zurück. Ich fasse das kurz zusammen: Am ersten Tag schuf die Göttin den Strom und es wurde hell. Am zweiten Tag schuf sie den Computer, am dritten Tag die IP-Adressen und am vierten Tag die Menschen, damit die Computer nicht sinnlos in der Gegend rumstanden. Am fünften Tag merkte sie, dass sie beim Menschenschaffen das Nummerngedächtnis vergessen hatte. Da war sie sauer, erfand das Computervirus und Microsoft Windows. Am sechsten Tag hatte sie sich wieder beruhigt und erfand das Domänennamensystem. Die Menschen sollten sich nun für jeden Computer einen Namen ausdenken, den sie sich merken konnten. Außerdem sollte man zusammengehörige Computer an einem gemeinsamen Namen erkennen, so wie man Mitglieder derselben Familien an ihrem Familiennamen erkennt. Die Menschen beschlossen daher, die Domänennamen wie in einem Familienstammbaum zu organisieren. Dieser Familienstammbaum mittlerweile geradezu biblischem Ausmaß. Am siebten Tag lehnte sich die Göttin zurück, bestellte sich Schuhe bei Amazon und sah Dirty Dancing bei Netflix.

Der Familienstammbaum der Domänennamen beginnt natürlich bei der Wurzel. Aus der Wurzel wächst ein fester Stamm, der alles trägt. Zu Beginn war das Internet noch klein und überschaubar. Man ließ aus dem Stamm nur sieben dicke Familienäste wachsen. Wie es sich für Familien gehört, sollten sie jeweils einen Familiennamen haben. Die Menschen wussten, dass sie die Familiennamen sehr häufig schreiben müssen, deswegen hielten sie sie sehr kurz. Man nannte eine Familie „com“. Diese Familie sollte für die kommerziellen (englisch „commercial“) Angebote im Internet zuständig sein. Eine zweite Familie nannte man „org“. Die war zuständig für die gemeinnützigen, nicht gewinn-orientierten Organisationen (englisch „organisations“) im Internet.

Dazu kamen noch Familie „net“ für die Computernetze (englisch „networks“), Familie „int“ für internationale Verträge (englisch „international“) und Familie „edu“ für Bildungsangebote (englisch „education“) . Die letzten zwei Äste bekamen zwei kleine, aber einflussreiche Familien. Familie „gov“ für die Regierung der USA (englisch „government“) und Familie „mil“ für das US-Militär (englisch „military“).

Es blieb aber nicht bei den sieben Gründerfamilien. Später kamen noch viele weitere Familienäste dazu. Eine davon ist zum Beispiel Familie „de“, die für Angebote aus Deutschland zuständig sein sollte. Diese Familienäste am großen Stammbaum trieben dann weitere Zweige aus. Jeder Zweig bekam einen eigenen Namen, aber der Familiennamen musste natürlich gleich bleiben. So entstanden in Familie „com“ Zweige wie zum Beispiel „google.com“ oder „facebook.com“ (anders als bei Menschen trennen wir bei Domänennamen den Vor- und Nachnamen durch einen Punkt). Aus diesen Zweigen wuchsen wiederum noch kleinere Zweige und so weiter. Die Anzahl der Äste und Zweige geht mittlerweile in die Milliarden. Die DNS-Server haben sich den Baum dann aufgeteilt. Die Root-Server sitzen ganz unten und überblicken von dort alles, manche DNS-Server sind für einen großen Familienast zuständig, andere nur für einen kleinen Zweig.

Zurück zu Herbert: Schauen wir uns nun nochmal den von Herbert gesuchten Domänennamen „de.wikipedia.org“ an. Der DNS-Root-Server in der Wurzel schickt Herbert nun zum Ast der Gründerfamilie „org“. Für diesen Ast ist der oben genannte DNS-Server der Public Interest Registry zuständig. Dort angekommen, macht Herbert das, was er immer macht. Er frägt nach der IP-Adresse. Mittlerweile weiß er aber wie der Hase läuft.

Herbert (motiviert): „Hallo, ich benötige die IP-Adresse für de.wikipedia.org. Wen muss ich als nächstes fragen?“

Der Gründervater schickt Herbert den Baum weiter nach oben. Vom Familienast „com“ geht irgendwo ein weiterer Zweig mit Namen „wikipedia.com“ ab, für den wieder ein anderer DNS-Server zuständig ist. Der gehört auch wieder einer anderen Organisation, nämlich der Wikimedia-Stiftung mit Sitz in San Francisco, USA. Herbert legt weitere Kilometer zurück. Als er ankommt, wiederholt er (mittlerweile routiniert) seine Aufgabe.

Herbert (hoffnungsvoll): „Hallo, ich benötige die IP-Adresse für de.wikipedia.org.“

Wikimedia-DNS-Server: „Klar, kannst du haben.“

Am Zweig „wikipedia.org“ hängen nur noch ein paar Blätter. Eines für jede Sprachversion der Wikipedia. Das Blatt „de.wikipedia.org“ für die deutschsprachigen Artikel, „fr.wikipedia.org“ für Französisch, „en.wikipedia.org“ für die englischsprachigen Artikel, und so weiter.Ein Domänennamen bildet wie in einem Stammbaum den Weg von der Wurzel bis zum gesuchten Familienmitglied ab.

Herbert jubelt. Überglücklich nimmt er die gesuchte IP-Adresse entgegen. Endlich hat er, was er benötigt. Er hat seine Anfrage erfolgreich an den richtigen DNS-Server gestellt und muss die Antwort nach Hause bringen, also zu Eurem Smartphone. Es geht zurück durch den Ozean in das Kabelnetz der Telekom. Dort kommt er noch einmal am Bibliothekar vorbei, dem allerersten DNS-Server dem er begegnet war. Dieser nimmt die IP-Adresse von de.wikipedia.org in seine Bibliothek auf, damit der nächste, der danach fragt, nicht wieder über den weiten Ozean reisen muss. Hier sei gesagt, dass es in der Realität natürlich sehr unwahrscheinlich ist, dass noch niemand vor Herbert auf einer so gut besuchten Webseite wie Wikipedia war, aber tatsächlich muss irgendjemand immer der erste sein und den ganzen Weg ablaufen.

Nach dieser wahnsinnigen Reise quer durch die Welt kommt Herbert wieder auf Eurem Smartphone an. Freudestrahlend wedelt Herbert mit der IP-Adresse in der Hand. Doch wie vom Blitz getroffen erstarrt Herbert, als er in der Einfahrt noch das geparkte Auto stehen sieht, das er zuerst bestiegen hatte. Ihm wird schlagartig klar, dass Ihr noch immer vor dem Smartphone sitzt und den Wikipedia-Artikel über Welpen erwartet, nicht irgend eine unleserliche Computernummer.

Genau. Wir haben eine Reise um die halbe Welt hinter uns, aber die eigentliche Aufgabe steht noch aus. Und dieser widmen wir uns im nächsten Teil der Internetgeschichten.


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